Collie Herb: «Ich muss im übertragenen Sinn mein Ego töten»

Interview Collie Herb
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Pressebild - ©Marc Hächler

Der Schweizer Musiker Collie Herb singt sprichwörtlich über Gott und die Welt. Thematisch setzt er sich kaum Grenzen. Bei ihm sind die Lyrics unterlegt durch packenden Reggae bzw. Raggamuffin. Oft geht es im «Collieversum», wie auch seine neue Platte heisst, um feine Beobachtungen aus dem Leben und der Gesellschaft, die in spitzzüngige Texte mit eingem guten Schuss (Selbst)-ironie gepackt sind. Am Telefon hat Collie Herb uns von seiner Zeit in Paris erzählt, welche Aspekte der Texte ihm besonders wichtig sind und wass sich für ihn durch die Corona-Krise veränder hat, wie etwas, weshalb er sein Album verschoben hat. 

 

Mit dem «Collieversum», wie deine neue Platte heisst, bringst du zehn neue Songs heraus. Wie fühlst du dich, jetzt, wo das Album fertig ist?

 

Ich bin sehr happy. Es ist schon nochmals ein anderer Prozess, ob man ein ganzes Album macht oder nur eine Single rauskickt. Daher bin ich glücklich mit der Trackauswahl, ebenso gefällt mir wie die Songs klingen. Mein Job ist aber noch nicht beendet. Der musikalische Part natürlich schon, aber jetzt ist mir ein Anliegen, dass die Musik gehört wird.

 

Du meinst die Promo und irgendwann hoffentlich wieder Konzerte?

 

Genau. Zum Glück kommen bereits die ersten Shows wieder rein, eine kleine Tour ist geplant und auch sonst sind ein paar Sachen am Brodeln. Aber momentan lässt die Situation nur zu, dass man von Tag zu Tag entscheidet. Das erfordert von allen Beteiligten sehr viel Fingerspitzengefühl.

 

Es lässt sich gerade für deine Branche kaum abschätzen, wie sich die Lage entwickelt.

 

Deshalb sind alle vorsichtig. Aber völlig klar ist, die Gesundheit geht immer vor und wir versuchen uns da schon entsprechend zu informieren und auszurichten.

 

War es für dich ein Thema, das Album wegen der Coronakrise zu verschieben?

 

Ich habe es sogar verschoben, aber wahrscheinlich nicht so, wie du denkst. Die Platte erscheint früher als geplant. Meine Überlegung war, dass ich ein fertiges Album hatte und im Herbst absehbar eine Flut an neuen Alben veröffentlicht wird. Viele Musiker, auch grosse Namen, arbeiten wohl durch die Zwangspause an neuem Material und werden dieses im Herbst rausbringen. Also dachte ich mir: «Es ist irgendwie schade, wenn ich die Platte trotzdem wie geplant im Herbst veröffentliche. Jetzt gehst du den anderen Weg». Vielleicht kann ich so der grossen Masse an neuer Musik etwas ausweichen. Dazu kommt, dass die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Leute bei all den diversen Möglichkeiten ein Thema ist. Jetzt haben einige vielleicht mehr Zeit, um Musik zu hören. Wir haben uns mit dem Album sehr viel Mühe gegeben und mir ist es sehr wichtig. Am liebsten würde ich jeden Song einzeln als Single veröffentlichen, damit jeder seinen verdienten Platz bekommt. Aber Videos zu drehen ist immer ein Kostenpunkt und war aktuell teilweise gar nicht möglich durch Corona. Darum haben wir den Clip zu «Vitamin D» animiert. Anfangs war ein ganz anderer Clip geplant, aber so entstand Plan B.

 

Wenn du gerade sagst, dass du die Songs sehr gerne magst. Ich finde, das merkt man oft an den Texten. Bei «Vitamin D» sagst du «Geht raus an die Sonne», quasi Digital D-Tox. Du hast schon Botschaften in den Texten?

 

Die Sonne tut uns allen gut (lacht). Mir ist aber vor allem wichtig, nicht den Zeigefinger auszupacken und zu sagen: «So ist es jetzt!». Ich nutze lieber mich selbst als Beispiel und denke, dass sich manche in den Texten wiederfinden werden. Also dass man merkt, «Eigentlich verbringe ich viel zu viel meiner wertvollen Lebenszeit mit Scrollen». Anstatt mal rauszugehen oder wie du sagst Digital D-Tox zu machen.

 

Du bist aber schon generell jemand, der gerne beobachtet, was in der Gesellschaft läuft.

 

Total. Du merkst, wie sich die Gesellschaft entwickelt, weil man plötzlich seine eigene Meinung hat und diese konstant durch Algorithmen bestätigt wird. So wird man noch mehr bestärkt und dazu kommt, dass heute viele glauben, überall ihre Meinung drunter zu schreiben zu müssen. Auch in der Musik. Früher hattest du gar keine Möglichkeit jemandem deine Meinung zu sagen. Heute ist das kinderleicht. Das kann natürlich positiv oder negativ sein. Ich finde mega cool, wenn mir jemand schreibt, welchen Song er toll findet und warum das so ist.

 

Man könnte also sagen, Social Media ist Segen und Fluch. Gerade du als Musiker bist ja auch aktiv auf den verschiedenen Plattformen.

 

Das stimmt. Vor allem sind es in meinem Fall Facebook und Instagram sowie als Musiker natürlich YouTube. Bei den neueren Sachen wie Tiktok oder Snapchat bin ich eher etwas skeptisch. Nicht, weil ich mich dem grundsätzlich verschliessen will, aber alles mitmachen will ich dann auch nicht.

 

Kann das eine Frage des Alters sein?

 

Irgendwann hast du es wirklich gesehen. Zudem habe ich das Gefühl, dass ich mich für Plattformen wie etwa Tiktok ganz neu konzipieren müsste, weil die anders aufgebaut sind. Dazu habe ich ehrlich gesagt keine Lust. So werde ich vielleicht viele junge Leute nicht erreichen, aber dafür konzentriere ich mich auf diese, von denen ich das Feedback bekomme, dass sie meine Musik schätzen.

 

Aber ist dein Publikum so jung, dass Tiktok so relevant ist? Kennst du ungefähr dein Publikum?

 

Es sind schon nicht mehr die ganz Jungen wie früher. Das liegt aber daran, dass viele mit mir gewachsen sind. Natürlich sind auch neue dazugekommen. Ich glaube aber, dass der Sound, den ich mache, nicht bedingungslos den neuesten Trends folgt. Wenn es passt, dann passt es und sonst lasse ich auch mal Trends aus.

 

Das ist ja völlig ok, wenn du deine musikalische Identität gefunden hast und darauf aufbaust.

 

Ich bin gar nicht verschlossen gegenüber neuen Strömungen, im Gegenteil. In einem Song singe ich sogar, dass es ja schlimm wäre, wenn die Menschen, die jetzt jung sind, dasselbe hören würden, wie ich damals in meiner Jugendzeit. Da wäre folglich keine Entwicklung passiert. Das war aber immer schon so. Also Bob Dylan damals die elektrische Gitarre ausgepackt hat (Anm. d. Red: Beim Newport Folk Festival von 1965), hat es auch Leute gegeben, die meinten «Oh nein, was macht der jetzt!». Solche Wechsel gab es immer wieder.

 

 

Mir ist bei Songs zu solchen Themen ein Anliegen, dass ich die Frau nicht als Objekt nutze. Das ist mir sehr wichtig, weil ich denke, diese Zeiten sind längst vorbei.

 

 

Bei «Nice Try» machst du aus dem ganzen Schönheitswahn, der mit Social Media verbunden ist, eine ungewöhnliche Liebeserklärung an eine Frau.

 

In diesem Song kommen ganz viele Ebenen zusammen. Es ist ein schönes Duett mit meiner Backgroundsängerin Lea Nussbaumer. Ich wollte, dass sie bei Konzerten auch einen Part hat und mal etwas mehr im Vordergrund steht. Das gibt live eine coole Dynamik, darum habe ich dafür genau sie ausgewählt. Im Song geht es um das Süssholzraspeln, sage ich mal. Ich versuche halt alles, um die Partnerin zu überzeugen. Aber sie findet: «Netter Versuch, aber das höre ich schon so oft, gibt dir mehr Mühe». Ich antworte dann, dass sie sich nicht mit Frauen auf Hochglanzmagazinen oder eben bei Instagram identifizieren müsse, sondern einfach ihr Ding machen solle und ich das toll fände. Mir ist bei Songs zu solchen Themen ein Anliegen, dass ich die Frau nicht als Objekt nutze. Das ist mir sehr wichtig, weil ich denke, diese Zeiten sind längst vorbei. Oft sind es Nuancen. So singe ich beispielsweise «Von mir aus kannst du das mit dem Schminken heute vergessen». Manchmal wäre es für den Fluss des Songs einfacher, solche Dinge allgemein zu halten und da bin ich manchmal zu verkopft, aber dann überlege ich schlicht länger, bis die Passage so ist, wie ich die Aussage haben möchte.

 

Du hast mit dem Part von Lea aber auch etwas Satire drin. Ihre Zeilen wirken etwas überspitzt arrogant.

 

Ganz genau. Das ist Absicht. Es ist ein wenig wie ein Battle und das kommt live genau so rüber. Der Song ist halt für ein Konzert konzipiert und wurde von der Band eingespielt. Ich habe dann mit dem Keyboard noch Kleinigkeiten ergänzt, aber die spiele ich live nicht, sondern bin nur am Mikrofon.

 

Wie viele Leute sind in deiner Band?

 

In der Liveband sind es sieben mit mir. Ich trete auch im Trio auf oder «nur» mit DJ. Aber am liebsten sind mir Konzerte mit der ganzen Band.

 

Besonders aufgefallen ist mir «187 uf mis Ego». Der Code steht für Mord im amerikanischen Polizeijargon. Der Titel ist schon heftig selbstironisch.

 

Das kommt natürlich von der Musik, mit der ich sozialisiert wurde. Dort war oft zu hören «187 on», was bedeutete, dass die gemeinte Person getötet wird. Da bist du sehr gut informiert.

 

Ich kenne das von amerikanischen Filmen.

 

Stimmt, dort hört man das auch immer wieder (lacht). Du bist aber auch der Erste, der das kapiert.

 

Ich habe mir auch einen Moment überlegt, ob das wirklich so gemeint ist.

 

Das Lustige ist, dass eine der aktuellsten Rapgruppen im Moment 187 Strassenbande heisst und viele Leute machen gleich den Link zu ihnen. Aber spannend für mich, du bist der Erste, der mich mit dieser Interpretation darauf anspricht.

 

Der Song zeigt zudem ein kritisches Bild gegenüber der Neidkultur.

 

Nicht nur das. Es geht darum, dass die Welt einfach schlecht ist. Es passieren viele Dinge, die nicht gut für alle sind. Manche nehmen sich einfach mehr, dafür haben andere zu wenig. Aber eigentlich bringt es nichts, wenn ich mit dem Finger auf alle zeige. Darum muss ich bei mir anfangen und mich fragen: «Wo stehe ich in dem Ganzen?». Darum singe ich «187 uf mis Ego». Ich muss im übertragenen Sinn erst mein Ego töten, wenn ich das Gefühl habe, dass ich noch dieses oder jenes haben müsste oder anderen etwas nicht gönne. Daher gilt, einfach das Ego killen und bei mir selbst anfangen.

 

Collie Herb mit Band auf der Bühne. Bald ist es hoffentlich wieder so weit. (Quelle: Collie Herb, ©Talal Doukmak)

 

Eine schöne Zeile von dir lautet «Ich läbe nöd für d Musig, aber d Musig vo mir». Davon ausgehend beschreibst du dein Leben und wie Kollegen rundherum inzwischen Kinder haben. Du bist darin herrlich selbstironisch. Kannst du über dich selbst lachen?

 

Ich glaube schon (lacht herzlich). Das ist sogar eine Stärke von mir und ich muss mich da kaum verstellen. Es ist nicht so, dass ich den Künstler Collie Herb als Comedyfigur sehe, aber auch nicht als moralische Instanz. Ich mache mein Ding, drücke mich künstlerisch aus, kann aber sehr wohl mich selbst in der Gesellschaft betrachten und sehen wie ich mein Leben aufgebaut habe und lebe. Es ist nicht so, dass ich mir etwas erschaffen habe und dem panisch nachrennen müsste. Völlig in Ordnung finde ich auch, wenn sich jemand ein Gangsterimage aufgebaut hat und dieses halt leben muss.

 

Oder neben der Bühne auch nicht lebt.

 

Oder nicht, genau (lacht). Aber solche Probleme habe ich glücklicherweise nicht. Ich kann sagen: «Ich bin Collie Herb, einer wie ihr, mit den gleichen Sorgen und Problemen».

 

Man bekommt bei vielen Songs das Gefühl, dass schon dein Leben als Inspiration dient. Zumindest teilweise. Stimmt dieser Eindruck?

 

Der grösste Teil ist sehr autobiografisch, aber ich versuche das immer wieder zu brechen. Ich finde mega cool, wenn du eine Geschichte erzählen kannst, die vielleicht gar nicht genau so passiert ist, die aber trotzdem berührt. Das finde ich genauso stark. Das ist noch nicht so meine Stärke, aber ich habe mich mit dem neuen Album dem gegenüber mehr geöffnet und im Vergleich zu den letzten beiden Alben wurde dieser Aspekt auch deutlicher. Man neigt aber schon dazu, jene Dinge zu machen, die sich am besten anfühlen und für mich ist das schon dieses autobiografische Texten.

 

Wie bist du zum Raggamuffin gekommen, wenn du selbst sagst, dass du mit Rap sozialisiert wurdest?

 

Ich bin mit beiden gleichzeitig sozialisiert worden. Bei uns im Dorf, wo ich aufgewachsen bin, hast du entweder Rap oder Rock gehört und ich war in der Rap-Hälfte. Aber Reggae hat niemand gehört. Da musste ich mir den Zugang selbst suchen. Das habe ich gemacht und wirklich alles, was mir in die Finger gekommen ist, wurde gehört. Die Songs habe ich damals im Radio auf Kassette aufgenommen. Aber erst so nach zwei Jahren habe ich den Namen Bob Marley erstmals gehört. Später habe ich Leute kennen gelernt, die nicht nur konsumiert, sondern auch selbst Reggae gemacht haben. Ich selbst habe auch schon seit fast eh und je Musik gemacht. Mit vier Jahren sass ich bereits am Klavier. Dann habe ich Gedichte und später Songs geschrieben. So kam eins zum anderen. Ich habe irgendwann die richtigen Leute getroffen und man hat gemeinsam Musik gemacht. Dabei war ich meist der Reggae-Teil bei den Rap-Gruppen. Aber es gibt da keinen bestimmten Erweckungsmoment.

 

Gilt das auch für die Mundart oder hast du erst Englisch gesungen?

 

Live habe ich nie Englisch gesungen, aber ich habe schon Texte in Englisch geschrieben oder zumindest mit dem getextet, was ich damals für Englisch gehalten habe.

 

Wie waren die Reaktionen am Anfang? Reggae/Raggamuffin verbindet man nicht zuerst mit Mundart.

 

Die Leute fanden das immer speziell. Das kann negativ wie positiv gemeint sein. Das war ungefähr die Zeit als Phenomden aufkam. Aber es war wirklich sehr neu und die Leute haben das noch nie gehört. So sechs oder sieben Jahre später kamen Leute zu mir und meinten «Ah, das klingt wie Phenomden» oder «Klingt wie Dodo» und ich hatte natürlich immer ein müdes Lächeln und sagte: «Das kann schon sein, aber wir sind eigentlich in gleichen Zeitraum entstanden wie die beiden Kollegen».

 

Dodo scheint im Gegensatz zu dir etwas kommerzieller unterwegs zu sein.

 

Dodo macht sein Ding und das funktioniert wunderbar. Es ist halt schwierig, wenn ich ganz ehrlich bin. Je mehr du dich mit komplizierter Nischenmusik exponierst, umso mehr potentielle Zuhörerinnen und Zuhörer vergraulst du. Speziell in Mundart und Reggae, was noch zusätzlich einengt. Allen kann man es eh nie recht machen, auch Dodo nicht (lacht). Darum habe ich diesen Anspruch gar nicht.

 

 

Ich finde die kleinen Gigs halt sowieso cooler. Die Leute kommen wirklich wegen der Musik und wollen dein Konzert sehen und dich hören.

 

 

Aber gerade Mundart ist in der Schweiz längst voll akzeptiert, spätestens seit Züri West und Patent Ochsner.

 

Die Sprache ist halt nahe bei uns und man kann sich kaum entziehen, weil man alles versteht. Früher bei Züri West oder auch Polo Hofer muss man betonen, dass die sehr grosse Pionierarbeit geleistet haben. Selbst wenn sie natürlich klar von der Musik aus Amerika beeinflusst waren. Aber ich finde schon stark, was die geleistet haben, und für Mundart brauchte es schon nochmals mehr Mut.

 

Wenn du so willst, kannst du noch einen Schritt weitergehen zu Mani Matter, der Mundart auf ein völlig neues Niveau gehoben hat.

 

Total. Mani Matter ist natürlich eine sehr grosse Inspiration. Nicht unbedingt musikalisch, aber durch seine Gedankenwelt, die er in wenigen Worten aufbauen kann. Er bringt seine Texte so auf den Punkt, dass man denkt: «So ist es.» Ich glaube, das Niveau in der Mundartmusik steigt ständig, weil es immer mehr Musik in Mundart gibt und man sich herausheben möchte. Ich fände es cool, wenn eines Tages Mundart-Musik als völlig normal angesehen würde.

 

Ich glaube schon, dass Mundart nicht mehr schlechter dasteht. So wie du vorhin beim Thema Reggae erzählt hast, gibt es auch Leute, die Mundart nicht mögen, was völlig ok ist.

 

Das stimmt natürlich.

 

Ich habe gelesen, dass du für die Vorgänger-EP «Lingo», die als Vorbote auf das Album gedacht war, eine Zeit in Paris gelebt und Songs geschrieben hast. Sind auf «Collieversum» Songs aus dieser Zeit?

 

Das sind alles Songs aus dem gleichen Pool. Die wurden alle dort geschrieben. Plus noch andere Songs, die ich aber nicht verwendet habe. Das Ding mit der EP war, dass ich wieder einmal etwas rauskicken wollte, das Album aber noch nicht fertig war und noch gemixt werden musste. Die EP ist relativ schnell entstanden. Wir waren drei Abende im Studio und das Ding war im Kasten. Aber das hört man auch. Sie klingt ganz anders als das Album, für das wir uns tagelang verkrochen haben. Nicht unbedingt für die Vocals, denn die waren schon relativ klar. Dort «pröble» ich nicht mehr viel im Studio und weiss schnell wie ich sie will. Früher war das schon noch anders (lacht). Aber so kann ich die Zeit nutzen, um die Songs zu entwickeln.

 

Beim neuen Album stellt sich die Frage, ob du beim Schreiben schon ein thematisches Konzept im Kopf hattest?

 

Ich wollte schon eher ein Konzept machen. Aber schlussendlich bin ich so, dass sich bei mir Musik und Text doch ihren eigenen Weg suchen. Ich kann mir noch so vornehmen, etwas Neues zu versuchen. Am Ende lasse ich dann doch fliessen und rauskommt, was sowieso in mir schlummert.

 

Es ist ja gut, wenn du die Inspiration einfach fliessen lassen kannst.

 

Ja, das ist tipptopp. Aber ich würde zum Beispiel gerne mal etwas Moderneres machen. Am Schluss «gluschtets» mich dann aber doch wieder das zu machen, was ich schon kenne. Vielleicht passt es irgendwann.

 

Und zum Schluss: Wie geht es für dich jetzt weiter? Kannst du in Coronazeiten überhaupt weit vorausplanen? Plattentaufe als Stichwort.

 

Genau, die Taufe ist geplant und ich wollte eigentlich mit den Tickets diese Woche raus. (Anm. d. Red.: Das Interview wurde Anfang Juli geführt.) Aber dann passierte ein Fall in meiner Stadt und 300 Leute mussten nach einem Clubbesuch in Quarantäne. Also war ich etwas zurückhaltender. Aber grundsätzlich läuft die Maschine im Hintergrund. Wir sind bereits wieder am Üben mit der Band und beobachten, wie sich das entwickelt. Für mich persönlich ist es nicht so schlimm, wenn nur noch kleine Konzerte bis 300 oder 400 Personen erlaubt sind. Aber das ist für jeden Künstler natürlich anders. Ich finde die kleinen Gigs halt sowieso cooler. Die Leute kommen wirklich wegen der Musik und wollen dein Konzert sehen und dich hören. Wenn du vor 2000 Leuten spielst sind viele nur wegen dem Saufen dort (lacht). Das gibt einen völlig andere Vibe.

Ich denke, durch meine intensive Musik sind wir schon ein Live-Ding und bei Konzerten wirkt es am besten, wenn die Menschen wegen der Musik dort sind. Oder wenn sie zumindest allgemein offen sind. Sie müssen mich bzw. den Sound nicht einmal kennen und für mich ist es völlig in Ordnung vor einem Publikum zu spielen, das uns nicht kennt. Wir haben zum Beispiel letztes Wochenende in Davos gespielt und nach dem Konzert kam einer zu mir und meinte, er könne mit Reggae überhaupt nichts anfangen und er wäre nie im Leben gekommen, wenn er das gewusst hätte. Aber er habe das Konzert so geil gefunden, dass er ein anders Mal wiederkommen würde. Das ist eigentlich der grosse Vorteil, den ich habe. Ich bin bereit, gebt mir eine Chance und es kommt gut.

 

Das ist doch ein schönes Schlusswort.

 

Genau (lacht).

 

Collie Herb - «Vitamin D»

 

 

Bäckstage Redaktion / So, 19. Jul 2020